Die IT befindet sich im Wandel. Manche spüren es bereits – manche ignorieren es noch. Neue und hoch-innovative Unternehmen mit einer extrem schnellen und flexiblen IT drängen in den Markt und sind den alteingesessenen Platzhirschen immer mehrere Schritte voraus. Agilität wird dann gerne als Wunderwaffe proklamiert. Damit lässt sich zumindest die Unternehmens-IT schneller und flexibler machen. Das ist zwar nur ein Anfang, aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Doch wie muss man in der IT aufgestellt sein, um vorne zu sein oder zumindest am Ball zu bleiben? Dazu ist es notwendig, sich diesen Wandel einmal genauer anzusehen und zu überlegen. Denn dieser Wandel hat nicht unbedingt viel mit konkreten Technologien zu tun – das zwar auch, aber in Wahrheit sind es die weichen Faktoren, die entscheiden.
Eine dieser Faktoren ist das altbekannte Selektionsprinzip des Darwinismus: Survival for the fittest. Damit sind alle jene gemeint, die sich am besten den äußeren Bedingungen anpassen können. So sagt auch Genetiker Dr. Hengstschläger, dass nicht die stärkste, sondern die anpassungsfähigste Spezies überlebt.
Genau dieses Verhalten kann man heute mehr denn je in der (IT-)Wirtschaft beobachten: Wer sich nicht zügig auf veränderte Marktanforderungen einstellen kann, ist schnell weg vom Fenster. Manche, noch von üppigen Margen verwöhnten, Branchen weilen noch in ihrem Dornröschenschlaf, aber alle anderen spüren den Wirtschaftsdarwinismus im vollen Umfang. In der IT-Welt kommt dies in Form von Forderungen an, in immer kürzerer Zeit immer mehr umzusetzen und auch liefern zu können. Natürlich ohne, dass die Qualität dadurch schlechter würde. Anders formuliert: Die Zeit von der ersten Formulierung einer Anforderung bis hin zur Unterstützung im Betrieb zählt. Lange Analyse-, Konzeptions-, Test- oder Inbetriebnahmephasen sind keine Option mehr!
Wunderwaffe Agilität ? !
Und jetzt? Was tun? Die Lösung lautet: Agilität! Scrum oder Kanban einführen, eine Prise XP dazu und alles wird gut? Nicht immer! Nach der ersten Euphorie stellen dann doch viele fest, dass es noch überall hakt und klemmt. Anstatt besser zu werden, bauen sie nur schneller unwartbare Systeme und nach kurzer Zeit ist es schlimmer als zuvor. Agilität ist eine Wunderwaffe – allerdings reicht diese alleine nicht aus. Denn Unternehmen die Mist liefern, produzieren mit Agilität nur noch mehr Mist in noch kürzerer Zeit.
Wachsende Globalisierung liefert Antwort
Wir sind auf allen Ebenen einer wachsenden Globalisierung ausgesetzt: der regionale Bio-Bauer beliefert nicht nur seine Nachbarn sondern mittlerweile das ganze Land. Verstärkt wird das Ganze natürlich durch die vielfältigen Einflüsse des Internets. Kommt mir ein Produkt vor Ort zu teuer vor oder stimmt der Service nicht, dann schaue ich eben ins Internetz und werde dort fündig. Das erhöht den Konkurrenzdruck, weil immer mehr Wettbewerber pro Marktteilnehmer verfügbar sind. Der Käufer wird immer mehr umworben, seine Ansprüche steigen und die Unternehmen müssen sich immer ein bisschen schneller als die Mitbewerber auf Wünsche und Vorlieben einstellen. Schon fast alle Unternehmen sind diesem Trend voll ausgesetzt – Tendenz steigend.
IT als Überlebensnotwendigkeit
Praktisch kein Unternehmen kann heute noch ohne IT überleben. Würde diese ausfallen, steht entweder der Betrieb (die Produktion) still oder wäre zu langsam und zu arbeitsintensiv, um weiterhin wettbewerbsfähig produzieren zu können. Grundregel: je größer der Betrieb, desto höher die Abhängigkeit einer funktionierenden IT. Ein IT-Ausfall von nur wenigen Stunden wird als existenzbedrohend eingestuft.
Die IT ist heutzutage nicht nur mehr bloße Unterstützung, sondern eine Lebensnotwendigkeit – vergleichbar mit dem zentralen Nervensystem. Ohne IT geht einfach nichts mehr. Unabhängig vom laufenden Betrieb, passiert jedwede Änderung oder Neuerung über die IT.
IT als zentraler Schlüsselfaktor
Sie können als Unternehmen noch so innovativ sein oder die Bedürfnisse Ihrer Kunden noch so gut verstehen: wenn die IT nicht mitspielt, heißt es Game over. Die IT muss in der Lage sein, Ihre Ideen raschest in die laufenden Systeme zu integrieren, um diese zeitnahe auf den Markt und an Ihre Kunden zu bringen. Kann das Ihre IT nicht, werden Sie nur frustriert und hilflos feststellen können, dass andere Wettbewerber Ihre Idee früher auf den Markt und zum Kunden gebracht haben. Daher ist es essentiell, eine IT zu haben, die neue Anforderungen mit minimaler Durchlaufzeit umsetzt und bereitstellt, ohne die Zuverlässigkeit der laufenden Systeme negativ zu beeinflussen.
Neue Softwareentwicklungsprozesse anvisieren
Seit vielen Jahren befassen wir uns mit der Verbesserung und Optimierung der IT. Dabei sammelt man viel nützliches und manchmal auch nutzloses Wissen. Viele Softwareentwicklungsprozessen – angefangen vom Wasserfall- und V-Modell über XP und TDD bis hin zu Scrum und Kanban – wurden von uns getestet und durchgeführt. Für alle zentralen IT-Disziplinen – Analyse, Architektur, Entwicklung, Test, Build, Deployment, Betrieb und Management – konnten wir viele Best Practices und hilfreiches Wissen gewinnen.
So wissen wir, dass die durchschnittliche Durchlaufzeit von der ersten Formulierung eines neuen Featrues bis hin zum Betrieb des Features im IT-System sechs Monate oder länger dauert! Durchlaufzeiten von wenigen Tagen (Kanban) oder wenigen (meist zwei) Wochen (Scrum) sind (noch) die Ausnahmen. Warum? Weil man sich an die vorgegebenen IT-Prozesse hält. Diese meist veralteten Prozesse werden zwar umgangen, wenn die Zeit drängt, aber nicht aufgegeben. Kurzfristige Aufhebungen á la Emergency Taks Force oder Notfallfreigabe, um alle Regeln außer Kraft zu setzen, sind plötzlich kein Problem, da ja die Zeit drängt und das Feature schnellstmöglich in Produktion gebracht werden muss – egal wie. Dass das aber nicht die Lösung für hochpriore, zeitkritische Tasks sein kann, sollte jedem Projektmanager irgendwann mal klar werden.
Globale Optimierungen essentiell
Aber warum ist die IT so langsam?
Hauptsächlich aus dem Grund, weil die heutigen Defizite beim Software-Engineering im rudimentären Verbinden der Prozessartefakte liegt.
Soll heißen: Die verschiedenen, vorhin aufgezählten IT-Disziplinen (ITD), werden isoliert von einander und ohne gemeinsame Vision optimiert. Optimiert wird nur im eigenen Bereich und selbst da wird nur versucht, laut Lehrbuch alles fehlerfrei und fehlervermeidend umzusetzen. Dh wir optimieren im Regelfall die verschiedenen ITDs nur lokal, weil die Anforderungsexperten überlegen, wie man die Anforderungserhebung noch verbessern kann, die Architekten, wie man die Architekturarbeit verbessern kann usw. Aber kaum jemand bis niemand schaut darauf, wie man die IT-Produktionskette durch sinnvolles Verbinden und Vernetzen der Einzeldisziplinen mit Hinblick auf ein Gesamtziel optimieren könnte.
Der ergänzende Blick, ob es neben den Einzeldisziplinen vielleicht noch andere, übergreifende Aspekte gibt, die für eine deutliche Verbesserung sorgen könnten, bleiben in der Regel aus. Warum? Weil sich dafür niemand zuständig fühlt. Oder weil es immer nur um Fehlervermeidung geht. Denn jede Abteilung, jede Stelle, jeder Mitarbeiter hat als oberstes, primäres Ziel, Fehler um jeden Preis zu vermieden. So steht leider nicht das Produkt und deren schnellstmögliche Bereitstellung im Fokus. Auch bei Vorträgen, schriftlichen Arbeiten etc. ist Thema immer, wie man Anforderungen noch vollständiger, noch redundanzfreier, noch unmissverständlicher erfassen kann, aber so gut wie nie ist die Verkürzung der Durchlaufzeiten ein Thema. Nicht falsch verstehen: Fehlervermeidung ist ein zentrales, wichtiges Thema – dies aber als Primärziel zu erheben, setzt den oben beschriebenen Problemen jedoch nichts Effektives entgegen.
Next Generation IT
Das neue Primärziel muss also in Richtung Mehrwertorientierung gehen. So könnte man das Zielbild einer Next Generation IT (NGIT) in vier Punkte untergliedern:
- Kurze Durchlaufzeiten
Neue Features kommen nicht mehr wie bisher erst nach mehreren Monaten, sondern nach wenigen Tagen/Wochen. Meist reichen schon Teilumsetzungen für ein erfolgreiches Ausrollen auf den Markt! - Kontinuierlicher Durchsatz
Eine gleichbleibende, kontinuierliche, hohe Produktivität: es reicht nicht mehr, schnell ein Feature mit Regelbruch umzusetzen, während alles andere links liegen gelassen wird. Es gibt immer eine bestimmte Menge an umzusetzenden Anforderungen verschiedenster Art. Diese müssen umgesetzt werden, um die IT zu einem verlässlichen Partner der Geschäftsbereiche zu heben. Hohe Planbarkeit -> rasche Durchlaufzeit -> Liefertermintreue für neue Features gehen so Hand in Hand! - Hohe Flexibilität
Änderungen sind gewollt! Sich ändernde Anforderungen und Prioritäten sind der Normalfall, keine Ausnahme. Wir als IT müssen in der Lage sein, diese Anforderungen und Umpriorisierungen schnell zu berücksichtigen und umzusetzen. Die Mitarbeiter aus den Fachbereichen nicht in die ferne Zukunft vertrösten! - Hohe Zuverlässigkeit
Rasche Umsetzung nur bei richtiger Umsetzung. Es hilft nichts, schnell aber fehlerhaft zu entwickeln. Eine stabile Produktion mit hoher Qualität dient als wichtiges Ziel und die Messlatte hierfür liegt zugleich höher als bei den traditionellen Vorgehensweisen. Hohe Zuverlässigkeit zusammen mit den anderen Teilzielen als oberstes Ziel statt Fehlervermeidung alleine!
Agilität liefert Antworten
- Kurze Durchlaufzeiten? Kanban!
- Kontinuierlicher Durchsatz? Scrum!
- Hohe Flexibilität? Das Motto aller agilen Ansätze!
- Hohe Zuverlässigkeit? Lean! (build quality in)
Die Lösung ist also schon da! Zumindest fast. Denn agile Vorgehensweisen sind sicherlich der grundlegendste Baustein auf dem Weg Richtung NGIT, um den Anforderungen des vorhin erwähnten Wirtschaftsdarwinismus gerecht zu werden. Allerdings reicht ein agiles Vorgehen alleine nicht aus. Ohne einem soliden IT-Unterbau und ohne einer angemessenen Qualifikation aller beteiligten Individuen ist das zu wenig zweckdienlich. Denn wie schon eingangs erwähnt, möchte man nicht noch mehr Mist in kürzerer Zeit produzieren, sondern Systeme mit Mehrwert liefern.
Voraussetzungen prüfen
Man muss erst einmal die technischen, organisatorischen und personenbezogenen technischen Voraussetzungen schaffen, damit ein agiles Vorgehen auf der methodischen Ebene seine Stärken ausspielen kann. Mehrere Konzepte müssen miteinander verknüpft werden, um den Zielen der Mehrwertorientierung gerecht werden zu können. Eine ganze Reihe aktueller Trendthemen kommen hier ins Spiel. Viele dieser Trends und Konzepte sind nämlich bereits Teilantworten auf die neuen Anforderungen. Folgende Bausteine beschreiben diesen Zustand:
- Agilität
Das verklärte Ziel: lauffähige Software in Verbindung mit guten Reaktionsmöglichkeiten auf sich ändernde Anforderungen. Mit selbstorganisierten Teams. - Lean
Vermeidung von unnötigen Tätigkeiten, Qualität als Standard sowie schnelle und regelmäßige Lieferungen. Gepaart mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. - DevOps
Keine Mauern mehr zwischen Entwicklung und Betrieb und den Parteien dazwischen. Gemeinsames Ziel: neue Features möglichst zügig und qualitativ hochwertig in Produktion zu bringen - CD – Continuous Delivery
Hochgradige Automatisierung der Build- und Lieferprozess, damit schnell und häufig neue Features ausgeliefert werden können, ohne dabei die Kosten explodieren oder die Qualität sinken zu lassen. - FF – Feature Flow
Der CD-Fluss, der beim Bauen der Software einsetzt, muss durch einen zweiten Flow am Anfang der Prozesskette ergänzt werden: Ein kontinuierlicher Fluss von Anforderungen, Konzeptionen und Umsetzungen wird benötigt. Features werden in Teilfeatures zerlegt, einzeln priorisiert, konzeptioniert und schließlich umgesetzt. - CC – Cloud Computing
Beschaffung von Infrastruktur-Services on Demand als automatisierbarer Self-Service. Dh ein zusätzlicher Rechner muss “auf Knopfdruck” da sein und genauso wieder verschwinden. Vollständige IDEs müssen in Minuten bereitgestellt werden können. - Craftmanship
Konsequenter Mehrwertgedanke und Professionalisierung des Individuums. Hohe Anforderungen an das Können aller Beteiligten. Ein “geht schon irgendwie” könnte zu wenig sein. Auch die Zusammenarbeit muss auf einer professionelleren Ebene einher gehen. Das bedeutet keinesfalls trockene oder spaßfreie Kommunikation, sondern lediglich konsequente Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung für die Tätigkeiten anderer.
Folgende Vorteile entwickeln sich aus diesem ganzheitlichen Grundsatz:
- Features fließen kontinuierlich durch eine optimierte und automatisierte SE-Pipeline
- Projekte mit deren Planungs- und Budgetzyklen verlieren ihren Schrecken
- Konsequente Automatisierung von Routinetätigkeiten schafft Freiraum
- Durchlaufzeiten von wenigen Tagen (oder wenigen Stunden) sind damit ohne Qualitätsverlust erzielbar
IT-Betriebe im Internetbereich mit mehreren Releases pro Tag sind schon heute vorhanden, womit das hier Beschriebene weit mehr als bloße Utopie ist.
Bereit für einen Umstieg?
Lassen Sie uns die Voraussetzungen für Ihren Betrieb gemeinsam durchgehen. Gemeinsam klären wir, ob und wie auch in Ihrem Betrieb Maßnahmen für notwendige Veränderungen gesetzt werden können. Klären wir das in einem Gespräch.
Quelle: JavaMag 12.13
Ich glaube auch, dass Agilität nicht nur eine einzelne Methode ist, sondern erst durch das Zusammenspiel verschiedene Aspekte wirklich Kraft gewinnt. Es geht dabei um eine gelebte Praxis für das gesamte Unternehmen und nicht nur um Projektmanagement. Vor allem sollten wir das Thema Agilität nicht nur im Kontext der IT betrachten, sondern auf Ebene des gesamten Unternehmens. Das hier erwähnte KANBAN z.B. fokussiert als Ansatz die gesamte Wertschöpfungskette und die besteht meist aus mehr als nur der IT.
Sehr richtig, es geht um weit mehr als nur Methoden. Es geht um die ganze Unternehmenskultur und wie diese Philosophie von den Mitarbeiter auch tatsächlich gelebt wird. Für mich als IT-Berater ist Kanban der Start bzw. der erste wichtige Ansatzpunkt in Richtung Agilität und kontinuierlicher Verbesserung. Und in IT-Betrieben ist die komplette Wertschöpfungskette halt sehr IT-lastig ;) Natürlich eignet sich Kanban auch für andere Branchen (va Produktion, etc.).